Vieldeutig

Ein Text ist vieldeutig.
Manchmal ist er bearbeitet worden,
gekürzt oder ergänzt zum besseren Verständnis.
Manchmal bekommt er einen andern, gar entgegensetzten Sinn,
ohne dass ein Wort verändert wird,
etwa, wenn die Bedeutung eines Wortes sich verändert.

Ein Text ist vieldeutig.
Die Erfahrungen dessen, der ihn schreibt,
sind nicht dieselben
wie die Erfahrungen dessen, der ihn liest.
Jede, die einen Text liest,
verbindet damit Neues,
das über das hinausgeht,
was die Verfasserin des Textes gemeint hat.

Ein Text ist vieldeutig.
Das gilt für alle Texte,
auch für Heilige Schriften.

Und weil das so ist,
kann die reformatorische Idee,
dass alleine die Heilige Schrift massgebend sei,
nie hinreichend und präzise sein.

Und weil das so ist,
kann die katholisch-lehramtliche Idee,
dass eine Autorität den Sinn der Heiligen Schrift festlegen könne,
nie hinreichend und präzise sein.